Woltersdorfer Sitten und Gebräuche, aufgeschrieben von Pastorentochter Milli Frank-Klatt.
Inhaltsverzeichnis
Klaasbuern – eine Woltersdorfer Weihnachtsgeschichte.
Der Pastor sagte zu seiner Frau: „Heute Abend sollen aber nicht wieder die Kerle ins Haus kommen, sorge dafür, daß die Türen geschlossen sind. Bringe auch rechtzeitig den Kapellenschlüssel in Verwahrung, ich wünsche, nicht wieder die ganze Nacht das Gebimmel anhören zu müssen!“
Und obgleich meine Mutter alles versprach, kam es auf schier unerklärliche Weise anders, als es vorgesehen war.
Christabend um vier Uhr begann das Geläute der Dorfglocke in der Kapelle, denn die Kirche lag außerhalb des Ortes einsam im Felde und brauchte die Streiche des jungen Dorfvolkes nicht mit anzusehen. Und es war für uns Kinder auch gut zu ertragen, dieses Bimbam. Unsere kleinen Herzen klangen ja mit. Und während die Leute in der Dämmerung noch das Vieh besorgten, die Mutter drei Körbe für die Armen zurecht machte, waren wir Kinder schon in ganz anderen Sphären.
„Jetzt werden die Klaasbuern vom Himmel heruntergeläutet!“ sagte Willem, der Knecht und ich dachte sie mir als mummelige Weihnachtsmänner mit gutmütigen Nasen, buschigen Augenbrauen und auf dem Rücken einen großen Sack mit Nüssen. Aber wie ganz anders sahen sie dann aus! –
Die Weihnachtsbescherung war bereits vorüber, doch die lichte Herrlichkeit im Herzen ließ uns zögern, jetzt schon ins Bett zu gehen. Plötzlich wird es laut im Flur und ohne es verhindern zu können, sind die Klaasbuern da. Eine ganze Stube voll maskierter Wesen, nicht Kobolde wie in Märchenbüchern, – nein – schreckliche Kerle! Ein Strolch mit Schlapphut und zerrissener Hose und einem dicken Knüppel in der Faust, ein Soldat in einer alten Celler Infanterie-Uniform mit einer roten Nase und einer Schluckbuddel in der Tasche, eine Frau mit ausgestopfter Weiblichkeit, einer im weißen, nach außen gekehrten Schafspelz und jeder droht mit einer Rute oder Stock und fordert mit tiefer Stimme: „Wilst du wol bäden?!“
Zitternd vor Angst stammeln wir ein frommes Sprüchlein her und bekommen einen schmierigen Bonbon oder eins mit der Rute übergezogen. Die Mägde quietschen vor Vergnügen, verstecken sich unterm Tisch oder hinter der Garderobe, wo sie natürlich doch gefunden und liebevoll gedrückt werden. Sie müssen auch beten aber einen anderen Vers:
Es gab aber auch noch unanständige Verse. Dies´ alles paßte nicht zu Weihnachten, das fanden wir Kinder auch und doch war es gruselerregend und etwas wie Zauber dabei, denn alle Türen waren verschlossen gewesen und trotzdem waren sie ins Haus gekommen. Es mußte also doch etwas Wahres daran sein, daß sie vom Himmel heruntergeläutet wurden, aber ausgerechnet vom Himmel …?
Neujahrsböcke zum Jahreswechsel
Die Neujahrsböcke waren nicht so gruselig, aber mit Hörnern und Schwänzen. Sie durften auch nicht ins Haus kommen. Nur der Nachtwächter im schwarzen Schafspelz und der Laterne in der Hand ist eine warmfrohe Erinnerung aus Kindertagen. Ohne Punkt und Komma wurde dann von ihm der Spruch hergesagt:
„Wünsche den Herrn Pastor und seine ganze Familje ein fröhliches neues Jahr, Friede, Freude und Gesundheit, eine gute Ernte und gesundes Vieh, ein langes Leben und die ewige Seligkeit nicht allein für dieses Johr sondern auch für das zukünftige!“
Das Geläute der Kapellenglocke dauerte aber die ganze Nacht.
Die alten Trachten
Anderen alten Gebräuchen war mein Vater durchaus nicht abgeneigt und er war sehr dafür, daß die alten Trachten in Ehren aufbewahrt wurden. Denn es sah schon sehr würdig aus, wenn nach meiner Erinnerung, noch zu Beginn des neuen Jahrhunderts die älteren Frauen mit schwarzen Mützen und weißen gestickten Abendmahlstüchern am Altar vorbeigingen.
Auch riesig große weiße Stickereischürzen gab es, die angeblich aus Frankreich kamen und keine Handarbeit waren. Die roten und goldenen Festmützen wurden auf den Trachtenfesten und auch darüber hinaus getragen. Dafür sorgte schon der Altertumsverein und der Kantor Mente aus Rebenstorf.
Neue Dansmusik, Kröger Schulzen & Blasmusik
Diese Trachten gaben unzweifelhaft ein malerisches Bild ab, aber hygienischer waren da schon die zarten blauen und rosa Tüll- und Batistkleider, mit denen später die jungen Mädchen auf dem Tanzsaal erschienen. Es war Sitte, sich bei Festlichkeiten und Hochzeiten mindestens einmal umzuziehen und mir ist nie klar geworden, ob man damit eine Art Modenschau veranstalten wollte oder die mehr strapazierfähigen Kleider geeigneter fand für den Nachhauseweg mit dem Kavalier.
Nachdem unsere Hauslehrerinnen es durchgesetzt hatten, mit auf den Tanzsaal zu dürfen, war die `Dansmusik´ ein richtiger Spaß. Bevor wir Schulkinder waren, brachten unsere Hausmädchen uns schon Polka und Walzer bei.
Der Tanzsaal beim `Kröger Schulzen´ war ganz vornehm, die Wände hatten in Oelfarbe gemalte Landschaften. Auf einer war sogar der Vesuv zu sehen. Die Blasmusik tönte durchs ganze Dorf und ich bewunderte immer wieder die Bläser, die diese Prozedur sechs bis acht Stunden am Stück durchhalten mußten.
Vornehm war es, wenn manchmal die Stendaler Husaren herüberkamen. – Die Celler Infanterie nannte man “Celler Sandhasen”, aber die schönsten waren die Lüneburger Dragoner und noch schöner beim Manöver, die Pasewalker Kürassiere. –
Kommis – die Verkäufer kommen
Noch vornehmer wurde es, wenn die Lüchower “Kommis” (Verkäufer) nach Woltersdorf kamen. Diese Leute waren meistens gut aussehende Menschen, sie wurden auch Ladendiener genannt und „So scheun as een Lodendeener!“ war Baschans Mudder ihre Beschreibung eines gut aussehenden Mannes.
Die schönen Männer von Woltersdorf
Wobei ich doch bemerken möchte, daß es im Wendland mehr Männerschönheiten gab als weibliche. War da doch ein Bauern aus Thurau oder Klein Breese, der aussah wie der Freiheitskämpfer Theodor Körner. Nicht zu vergessen die imposante Erscheinung des Bauern Lucks, der sich bei einem Besuch des Berliner Landtages als “Lucks von Thurau” vorstellte und die Adligen sich dann fragten, was das denn für eine Adelslinie sein könne.
Baschans Mudder
Der Name Theodor erinnerte mich an einen zartbesaiteten Jungen, der als Waisenknabe in unser Dorf kam und als Zehnjähriger von Baschans Mudder zu einem 12-jährigen Mädchen in dasselbe Bett gesteckt wurde. So war sie eben, naiv und schlau, geizig und freigiebig zugleich und ihr Hausgiebel war der schönste im ganzen Dorf und wohl auch der älteste. Zu Weihnachten kam sie mit einem großen Blech mit Butterkuchen zu uns ins Pfarrhaus, von dem dann aber die gehbehinderten Witwen im Dorf abbekamen. Jeder Witwe mußten wir Pfarrerskinder einen Korb voll schmackhafter Dinge bringen.